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Informationen über Obdachlosigkeit

Wie kommt man in die Obdachlosigkeit? Gibt es typische Gründe? Tragen  Obdachlose selber Schuld an ihrem Schicksal?Es gibt ein Bündel von Gründen, dass in verschiedenen Kombinationen in die Obdachlosigkeit führt

  • Sozialisation – wie bin ich aufgewachsen? Habe ich als Kind gelernt, Probleme zu lösen? Habe ich Liebe und Geborgenheit erfahren (und bin deshalb innerlich gefestigt)? Habe ich positive Vorbilder, denen ich nacheifern kann? Diese Dinge legen den Grundstock für das spätere Leben und erlauben, mit Belastungen und Enttäuschungen umzugehen.
  • § Wenn man den Grundstock nicht hat, dann ist man gefährdet bei Eheproblemen, Arbeitsplatzverlust und dergleichen. Die Folge ist "schlechtes Krisenmanagement". Das drückt sich aus in der Ablehnung von Verantwortung für sich selbst (mangelnder Wille sich "durchzubeißen"), Flucht in die Sucht (Drogen, Alkohol), Schulden machen, finanzielle Verpflichtungen nicht erfüllen usw.

Die wiederum belastet das soziale Umfeld. Die Nächsten (so überhaupt vorhanden) wenden sich ab, es gibt Streit. Die Entwicklung eskaliert. Es kommt zu Trennung vom Partner und/oder zum Wohnungsverlust. Und schon ist sie da, die Obdachlosigkeit.Natürlich gibt es noch viele andere, z.B. Schicksalsschläge,die die Menschen aus der Bahn werfen

 Die Folgen sind laut Statistik:

  • § Ca. 40% der Betroffenen ziehen einfach fort (ohne Kündigung d. Mietvertrags)
  • § Ca. 18% werden vom Vermieter gekündigt
  • § Ca. 23% werden gekündigt und erfahren danach eine Zwangsräumung (was auf Überschuldung schließen lässt)

Welche Rolle spielt die "Familie" als Schutz vor Obdachlosigkeit?Wie oben beschrieben bietet eine funktionierende Familie einen überragenden Schutz gegen alle Widrigkeiten des Lebens. Die Interviews auf unserer DVD beweisen, dass sich die meisten Jugendlichen dessen auch bewusst sind. Man kann die Bedeutung der Familie gar nicht hoch genug einschätzen.

Sind Obdachlose "faul"?Manche sind schon recht bequem und haben die Arbeit nicht erfunden. Für andere gilt das nicht. Sie bemühen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Arbeit. Es gibt auch eine Zahl von Menschen, die physisch oder psychisch krank und deshalb außer Stande sind zu arbeiten.  Es gibt also keine grundsätzliche Tendenz.

Sind Obdachlose meistens Alkoholiker? Ist die Obdachlosigkeit Folge des Alkoholismus oder der Alkoholismus Folge der Obdachlosigkeit? Man kann das nicht genau sagen, aber es ist schon so, dass viele Obdachlose dem Alkohol zugewandt ist. Auch die Kausalität ist bestimmt nicht einseitig. Obdachlosigkeit macht keinen Spaß und Alkohol verschafft schnelle Linderung. Wer süchtig ist, denkt kurzfristig, also trinkt er. Von der Sucht loskommen kann nur, wer eine längerfristige Perspektive hat. Obdachlose haben das nicht. Somit fehlt vielen die Motivation, die ungewöhnlichen Anstrengungen einer Entwöhnung auf sich zu nehmen.

Sind Obdachlose gefährlich?Man kann das guten Gewissens verneinen. Jedenfalls sind sie im Durchschnitt nicht gefährlicher als andere gesellschaftliche Gruppen. Meistens sind sie dazu schon wegen ihres schlechten körperlichen Zustands gar nicht in der Lage. Allerdings macht Alkohol manche aggressiv. 

Ist Obdachlosigkeit ein vorübergehender Zustand? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, aus der Obdachlosigkeit wieder herauszukommen und wie groß ist die Chance?Mehr als die Hälfte unserer Besucher in den Treffpunkten kommen ständig.  Eine Statistik sagt, dass die durchschnittliche Verweildauer in der Obdachlosigkeit  etwa 4 Jahre beträgt, 11% sind länger als 10 Jahre obdachlos.

In wenigen Fällen gelingt der Schritt aus der Obdachlosigkeit, indem wir uns um eine Wohnung für den Betroffenen bemühen. Die Einzelbetreuung erfordert einen hohen Einsatz. Wir müssen das Schriftliche erledigen, uns um die Mietzahlungen kümmern (bei Alkoholikern muss das Geld direkt vom Sozialamt oder der AA an das Wohnungsunternehmen überwiesen werden, sonst verliert er die Wohnung gleich wieder, weil er das Geld für etwas anderes ausgibt), der Obdachlose muss zur Wohnungsgesellschaft begleitet werden; manche verlieren ihre Wohnung wieder, weil sie "Messies" sind (eine psychische Krankheit, die dazu führt, dass man zwanghaft alles horten muss und nichts wegwerfen kann).

Wenn die Chance gering ist, sollte man sich dann überhaupt um solche Leute kümmern? Man könnte sich auch fragen, ob es sinnvoll ist, einem Krebskranken, der eine schlechte Überlebensprognose hat, zu helfen. Oder einem 80-Jährigen eine künstliche Hüfte zu finanzieren. Will sagen, die Frage ist aus wirtschaftlicher Sicht ganz einfach zu beantworten, aber aus ethischer Sicht auch:  Natürlich sollte man sich um sie kümmern.
Anmerkung: Unsere Gesellschaft wird durch ethische Grundsätze zusammengehalten, nicht durch wirtschaftliche.  

Wie kann man Obdachlosen helfen (wie kann ich helfen?) – kann man ihnen überhaupt helfen? Sollte man jemandem Geld geben, wenn man glaubt, dass er es sowieso wieder vertrinkt ? ... oder jedenfalls seine Situation nicht nachhaltig verbessert?Man kann ihm helfen, indem man ihn als Individuum respektiert und nicht ausgrenzt. Ich kann ihm helfen, indem ich ihm mal ´nen Euro gebe, wenn er darum bittet, und ich mir keine Gedanken mache, ob er das vertrinkt, denn ich kaufe mir von meinem Geld auch viel, was andere vielleicht nicht mögen. Ich könnte auch mal mit ihm reden, z.B. mit einem Hintz&Kunzt-Verkäufer anfangen. 

Ist es sozial erwünscht, Obdachlose zu "mögen"? Was ist, wenn ich sie nicht mag? Da Obdachlose häufig ein sehr eigenwilliges Erscheinungsbild haben und auch nicht besonders  um soziale Anerkennung bemüht sind, wird es schwer fallen, sie zu mögen, es sei denn, man bemüht sich, sie näher kennen zu lernen. Es ist auch überhaupt nicht schlimm, wenn man sie nicht mag, aber man sollte sie respektieren.

Warum machen Obdachlose "Platte"? Welche Alternativen haben sie? Was spricht aus ihrer Sicht gegen solche Alternativen?Obdachlose sind persönlich oft extrem schlecht organisiert und haben Schwierigkeiten, sich einzufügen. Deshalb ist die "Platte" das Nächstliegende. In unserer Stadt (Hamburg) gibt es aber durchaus Alternativen. Die meisten Obdachlose könnten ein Dach über den Kopf haben (es gibt Wohnheime, städtische und private Wohnungsgesellschaften, Stiftungen und dergleichen, die ein entsprechendes Angebot haben), aber Obdachlose ziehen häufig ihre Unabhängigkeit vor, haben kein Bankkonto, mögen sich nicht bei Wohnungsgesellschaften bewerben, sind nicht termintreu usw. 

Was machen Obdachlose, wenn sie krank sind? Welche Rechte haben sie?Das ist ein wunder Punkt. Obdachlose haben das Recht auf Krankenversicherung, die für sie  kostenlos ist, wenn sie Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II beziehen. Sie müssen aber bis 80 € pro Jahr die Praxis- und Rezeptgebühren bezahlen, bevor sie von weiteren Zuzahlungen befreit werden. Die Befreiung bedingt wiederum, nicht nur die ersten 80 € selber aufzubringen, sondern auch die Belege dafür zu sammeln und der Krankenkasse vorzulegen. Und das wiederum überfordert viele.
   Häufig haben Obdachlose eine schlechte Akzeptanz bei  Ärzten. Das ist aber nicht die Regel. Andere Ärzte kümmern sich sehr engagiert um sie.
   Es ist aus unserer Sicht eine echte Errungenschaft unseres Sozialstaats, dass Obdachlose genau dieselben Rechte auf medizinischen Leistungen haben, wie alle anderen Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung. In der Durchführung gibt es Schwächen, die im Wege einer Einzelbetreuung behoben werden müssen.

Erhalten Obdachlose Sozialgeld ("Stütze", "Sozialhilfe") oder Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"). Hat ein Obdachloser ein Bankkonto? ... eine Postadresse?Sozialgeld erhalten Menschen, die nicht mehr erwerbsfähig sind. Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") ist die gleiche Leistung für Erwerbsfähige .  Erwerbsfähig ist, wer mindestens drei Stunden pro Tag Arbeiten kann. Die meisten Obdachlosen sind als erwerbsfähig eingestuft und erhalten deshalb Hartz IV.
   Die Adresse eines Obdachlosen ist "o.f.W." (ohne festen Wohnsitz). Dort kommt der Postbote nicht hin, also haben viele Obdachlose eine Postadresse bei einer öffentlichen Einrichtung , wo sie sich ihre Post abholen. Dort gehen dann auch die diversen Behördenbescheide hin.
   Ähnlich ist es mit dem Bankkonto. Es gibt eine freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Banken und Sparkassen, jedem Bürger eine Bankkonto einzurichten, wenn er es wünscht. Das Konto kann als "Guthabenkonto" geführt werden. Das bedeutet, es kann nicht, auch nicht um einen einzigen Cent, überzogen werden. Gleichwohl wird so ein Konto vielen Obdachlosen verwehrt. Das ist ein Problem, wenn sie wieder sesshaft werden wollen, weil sie Strom, Gas usw. meistens bargeldlos bezahlen müssen.
   Eine Ausweichlösung ist wiederum die "Zahlstelle". Das Geld (z.B. Hartz IV) wird auf eine Drittkonto überwiesen (z.B. bei einer kirchlichen Organisation) und dann dem Obdachlosen ausgezahlt.

Wie verbringt ein Obdachloser eigentlich typischerweise seinen Tag?Der Film "Draußen" geht auf diese Frage ein. Ihr Leben ist recht eintönig und reizarm. Sie leben sehr stark in der Gegenwart, im "Jetzt". Was "morgen" ist,  wird sich zeigen, das "Übermorgen" ist schon recht verschwommen. Der Film "Draußen" wird von vielen im ersten Moment als langweilig empfunden, weil wir genau das zeigen.

Wie kommen Obdachlose durch den Winter? Ganz gut. Die Stadt stellt Winterunterkünfte zur Verfügung, die ausreichend Schutz vor Kälte bieten. Viele Obdachlose verweigern sich aber und ziehen ihren Schlafsack (z.T. mit High- Tech -Wärmeisolierung!) in Kombination mit Styroporplatten, windschützenden Kartons, Hauseingängen usw. vor. Ständige Feuchtigkeit scheint ein größeres Problem zu sein als Kälte. Klicken Sie hier für Informationen zum Thema Notunterkünfte in Hamburg.

Was machen Obdachlose, wenn sie alt werden? Obdachlose haben lt. Statistik eine deutlich geringere Lebenserwartung als die Durchschnittsbevölkerung. Das ergibt sich aus ihrem schlechten Gesundheitszustand, der sich durch das Leben auf der Straße mit der Zeit einstellt.  Man muss daher schlussfolgern, dass ein Obdachloser seine Lebenserwartung nur dann verlängern kann, wenn es ihm gelingt, im Alter ein festes Dach über den Kopf zu bekommen, z.B. in einem Wohnheim.

Haben Obdachlose Angst vor "Gewalt"? Wie schützen sie sich? Wer übt Gewalt gegen sie aus? Was kann ich tun, wenn ich Gewalt gegen Obdachlose beobachte? Obdachlose haben durchaus Angst davor. Die Gewalttäter suchen sich mit sicherem Blick die Hilflosen aus. Die Gewalttäter sind in der Regel feige und im Grundsatz angstvolle Menschen. Sie treten fast nie alleine auf, sondern meistens in einer Gruppe. Sie bekämpfen ihre eigene Angst und Unsicherheit mit Gewalt gegenüber Unterlegenen, aber nur wenn sie sich von vornherein wirklich sicher sind zu obsiegen. Die Gewalttäter sind aber nicht nur "Nazis" , sondern sehr häufig ganz "normale" Jugendliche mit  bürgerlichem Hintergrund, die betrunken von der Disko kommen und dann entdecken, wie "mutig" sie sind.
   Obdachlose schützen sich, indem sie provozierende Situationen meiden. Manche schlafen bewusst an öffentlichen Orten, weil dort Polizei und Wachdienste sind, die sie Obdachlosen durch ihre Präsenz schützen. Andere  wiederum schlafen an entlegenen Plätzen und/oder nur in Gesellschaft anderer.
   Die Frage, wie man sich verhalten soll, wenn man Zeuge von Gewalt wird, ist nur in der Theorie einfach zu beantworten. Jeder reagiert anders und jeder verfügt über andere Möglichkeiten. Zumindestens kann man aber sofort über das Handy die Polizei rufen, die in der Regel sehr schnell kommt. Wenn viele Menschen anwesend sind, kann man gemeinsam mit ihnen Lärm machen und die Gewalttäter dadurch verunsichern.  

Obdachlosigkeit und Barmherzigkeit. Wir verstehen unter Barmherzigkeit, dass man hilft, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten oder die Hilfe mit Erwartungen oder Auflagen verknüpft. Man hilft um der Hilfe willen. Einfach so. Man kann sich überdies fragen, wie es sein würde, wenn man selbst in eine Situation kommt, in der man Hilfe braucht. Man sollte andere nicht schlechter behandeln, als man selbst behandelt werden möchte.